Krise bedeutet auch, neue Möglichkeiten auszuloten – das Jahr 2020 bei der Stiftung Kreisau | Robert Żurek
Das Jahr 2020 wird uns wegen der COVID-19-Pandemie als ein sehr schwieriges Jahr in Erinnerung bleiben – als eine Zeit, in der das Schmieden von Plänen für die Zukunft der Sorge um die eigene Gesundheit und die der Angehörigen sowie der Angst um den Arbeitsplatz und das sichere Morgen weichen musste. Unter solchen Umständen musste sich die Tätigkeit der Stiftung Kreisau zwangsläufig ändern. Viele Pläne, die wir in diesem Jahr verwirklichen wollten, wurden auf später verschoben, bei vielen von ihnen mussten wir Veränderungen vornehmen oder nach anderen Möglichkeiten suchen, sie in die Tat umzusetzen.
(...) Im Frühjahr und Sommer führten wir im Internet einige Dutzend Webinare und Workshops durch, an denen Schüler sowie Lehrer aus Deutschland und Polen teilnahmen. In dieser Zeit fanden zwei LIVE-Unterrichtsveranstaltungen aus Kreisau statt, die auf den Kanälen der Bundeszentrale für Politische Bildung übertragen wurden. Online organisierten wir auch unsere zyklisch angelegten bzw. langfristigen Projekte, wie das Seminar „Wege der Freiheit“, das Projekt „#CreatingSpace A Digital Future with Ethics in Mind”, Schulungen zum Globalen Lernen oder Veranstaltungen im Rahmen von „Schulen des Dialogs“. Gemeinsam mit unserem Partnerverein aus Berlin – der Kreisau-Initiative – veranstalteten wir zum ersten Mal online das BarCamp „(Hi)Storytelling: My History, Your History, Our History".
(...) Heute blicken wir mit Sorge in die Zukunft. Wir sind aber reicher an Erfahrungen, die uns dabei helfen, uns an die neuen Bedingungen anzupassen. Wir wissen, dass wir dank Kreativität, Zusammenarbeit und gegenseitigem Wohlwollen selbst unter ungünstigen Voraussetzungen viel erreichen können. Das kommende Jahr – 2021 – wird vermutlich nicht einfach sein. Die Stiftung Kreisau wird aber ihren Auftrag weiterhin bestmöglich wahrnehmen. Davon sind wir fest überzeugt.
mehr
Kreisau als Ort des Dialogs. Erbe und Herausforderung || Anna Kudarewska, Robert Żurek
Die Geschichte der deutsch-polnischen Verständigung gibt Hoffnung und ermutigt zum Dialog, ist doch eine größere Feindschaft als die, die Polen und Deutsche nach dem Alptraum des Zweiten Weltkriegs voneinander trennte, kaum vorstellbar. Deutsche brachten Polen an den Rand der biologischen und kulturellen Vernichtung. Aber noch lange nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren sie nicht bereit, ihre Schuld anzuerkennen; vielmehr glaubten sie geradezu, sie seien Opfer des polnischen Chauvinismus, der sie eines erheblichen Teils ihres Landes beraubt habe. Die Leiden, die sie durch Polen erfahren hatten, verstellten ihnen die Sicht auf die eigene Schuld und Verantwortung, obwohl sich das Ausmaß beider Phänomene nicht einmal vergleichen lässt.
(...) Die Lage schien hoffnungslos zu sein. Und dennoch gelang es Polen und Deutschen, einen Ausweg zu finden, aus dem Teufelskreis der Feindschaft auszubrechen, freundschaftliche Beziehungen aufzunehmen und eine strategische Partnerschaft aufzubauen. Den Schlüssel zu dieser geradezu kopernikanischen Wende in den gegenseitigen Beziehungen bildeten dabei Begegnung und Dialog. Ein – und dies sei hier ausdrücklich erwähnt – ungemein mühsamer Dialog, der beiden Seiten enorm viel Geduld abverlangte und sich über Jahrzehnte hinzog. Doch schließlich aber wurde er von einem historischen Erfolg gekrönt, um den uns viele andere Völker beneiden, die selbst mit einer konfliktbelasteten Vergangenheit ringen. (...)
Als diejenigen, die Jahr für Jahr mit tausenden jungen Menschen aus Polen und Deutschland arbeiten, die im Rahmen des internationalen Jugendaustausches nach Kreisau kommen, stehen wir vor der ständigen Herausforderung, eine bestimmte idealistische Vorstellung in Bildungspraxis umzuwandeln. Wir müssen die Welt, neue Konflikte, gesellschaftliche und politische Herausforderungen stets im Auge behalten und dementsprechend unsere Methoden anpassen und neue Rollen übernehmen. Vor allem aber müssen wir zugleich dafür Sorge tragen, dass Dialog kein abstrakter Begriff, keine Schilderung historischer Entwicklungen bleibt, die sich auf der Ebene von Staaten oder ganzer Gemeinschaften abspielen, sondern dass dieser zu einem Element der Haltung gegenüber anderen Mitmenschen wird und in dieser Weise täglich konkret zwischen Personen, die in Kreisau zusammenkommen, praktiziert wird.
mehr