Mitteilung der Kopernikus-Gruppe


Der deutsch-polnische Gesprächskreis der Kopernikus-Gruppe traf sich zu seiner zweiundvierzigsten
Sitzung vom 7. bis 9. Dezember 2023 in Berlin. Das vorliegende Arbeitspapier „Deutschland und Polen:
Zusammenarbeit neu beleben, stärken und ergänzen“ fasst die gemeinsamen Überlegungen des
Kreises zusammen.
Prof. Dr. Waldemar Czachur, Warschau; Prof. Dr. Peter Oliver Loew, Darmstadt
17.1.2024
Arbeitspapier XXXIV der Kopernikus-Gruppe

Deutschland und Polen: Zusammenarbeit neu beleben, stärken und ergänzen Das Jahr 2024 eröffnet die Chance auf eine Wiederbelebung der deutsch-polnischen Beziehungen nach Jahren des Stillstandes und der Entfremdung auf politischer Ebene. Die Beziehungen neu und besser zu gestalten wird nicht leicht sein, da sowohl die neue Regierung in Polen als auch die Bundesregierung stark von innenpolitischen Problemen beansprucht werden.

 

Die polnische Bevölkerung hat bei den Parlamentswahlen im Oktober 2023 in einer nie da gewesenen Mobilisierung der populistischen Verführung eine Absage erteilt. Viele Beobachter in Europa sahen in diesen Wahlen eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft der Demokratien in Europa.

 

Deutschland hat im Zuge der Zeitenwende seine Position gegenüber Russland revidiert und unterstützt zusammen mit Polen den Kampf der Ukraine gegen die russische Aggression sowie die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union. In beiden Fällen heißt es: Es darf kein Zurück in alte Muster geben. Die Verantwortung für die Gestaltung der bilateralen Beziehungen in und für Europa liegt auf beiden Seiten von Oder und Neiße. Dies wird einen starken politischen Willen und besondere Kreativität seitens der Regierenden in Berlin und Warschau erfordern. Dabei sollte die Politik unbedingt auch die Dynamik der deutsch-polnischen Zivilgesellschaft nutzen: Hier liegt die Energie, die unsere Beziehungen weiterbringt.

Wir appellieren an die Öffentlichkeit sowie an die Entscheidungsträger in Polen und Deutschland, die gegenseitigen Beziehungen auf neue und solide Grundlagen zu stellen.

Jetzt ist die Zeit, um die Strukturen der deutsch-polnischen Nachbarschaft zu stärken und zu ergänzen. Denn die deutsch-polnischen Beziehungen haben sich in den letzten Jahren zwar auf der kommunalen Ebene und in der Zivilgesellschaft bewährt. Aber viele Formate der Zusammenarbeit, wie sie der Deutsch-Polnische Nachbarschaftsvertrag von 1991 vorsieht, sind auf politischer Ebene zum Stillstand gekommen. Diese Formate müssen reaktiviert, mit neuem Geist erfüllt und ergänzt werden.

Vor allem müssen die regulären deutsch-polnischen Regierungskonsultationen wieder aufgenommen werden, die zuletzt 2018 stattgefunden haben. Ein intensiver Vorbereitungsprozess in den Fachressorts sollte ihnen vorangehen. Die Beauftragten für die deutsch-polnischen Beziehungen müssen wieder von beiden Regierungen die ihnen zustehende Bedeutung erhalten und auf ähnlich hoher politischer Ebene angesiedelt sein. Auf der Ebene der Woiwodschaften und Bundesländer sind flächendeckend Bevollmächtigte für Minderheiten bzw. Beauftragte für die Auslandspolen (Polonia) zu besetzen, in ihren Positionen zu stärken und untereinander zu vernetzen. Die Stärkung der sprachlich-kulturellen Bindung an das Herkunftsland ist eine strategische Investition in unsere politischen und kulturellen Beziehungen. Wir müssen die Akteurinnen und Akteure unterstützen, die sich für die Fortentwicklung und Stärkung der zwischengesellschaftlichen Beziehungen einsetzen.

Seit 2018 hat das Deutsch-Polnische Forum nicht mehr stattgefunden. Diese Institution der bilateralen politischen Meinungsbildung von Zivilgesellschaft und Politik blickt auf eine lange Geschichte zurück, die in den 1970er Jahren im Zeichen der Entspannungspolitik begann. Das Forum muss dringend wieder zusammentreten, allerdings in einer neuen Form mit thematischen Gesprächskreisen und um ein deutsch-polnisches Parlament der Zivilgesellschaft erweitert (vgl. Arbeitspapier XXXIII der Kopernikus-Gruppe). An der Debatte über die Zukunft des Dialogs sind auch das Deutsch-Polnische Forum für außerschulischen Jugendaustausch sowie das Deutsch-Polnische Jugendforum zu beteiligen, die in der Vergangenheit mehrfach vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk organisiert worden sind. Aus dem Zusammenwirken dieser drei Ebenen könnte schon in wenigen Jahren ein Deutsch-Polnisches Zukunftwerk entstehen.

Die Beschäftigung mit der Geschichte, vor allem die Vermittlung von Wissen in Deutschland über den deutschen Überfall und die Besatzungszeit während des Zweiten Weltkriegs, sollte eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der bilateralen Beziehungen einnehmen. Wir fordern ein klares Bekenntnis der deutschen Bundesregierung zum Beschluss des Bundestags für die Einrichtung eines Gedenkortes in Berlin für die polnischen Opfer unter deutscher Herrschaft im Zweiten Weltkrieg, sowie eine zügige Umsetzung des von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und dem Deutschen Polen-Institut dafür entwickelten Konzepts eines „Deutsch-Polnischen Hauses“.

2024 jährt sich der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum 85. Mal und der der Ausbruch des Warschauer Aufstands zum 80. Mal. Gleichzeitig feiern wir 20 Jahre EU-Beitritt Polens und 35 Jahre Versöhnungsmesse in Kreisau. Diese und viele andere Gedenktage der gemeinsamen Geschichte sollten gemeinsam begangen und in beiden Ländern gewürdigt werden.

Zwei wichtige vertraglich verankerte Institutionen zur Förderung gutnachbarschaftlicher Beziehungen sind das Deutsch-Polnische Jugendwerk und die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Beide bilden aufgrund ihrer langjährigen bilateralen Strukturen und Erfahrungen das zivilgesellschaftliche Fundament der bilateralen Beziehungen und können viel bewegen. Es braucht nicht viel, um die Wirkung dieser Institutionen deutlich zu steigern. Das DPJW konnte nach drei Jahren Einschränkung durch die Pandemie im Jahre 2023 58.000 Jugendliche über einen Austausch in Kontakt untereinander bringen. Allerdings konnten 150 Anträge aufgrund fehlender Mittel nicht gefördert werden. Das Stammkapital der SdpZ ist zu gering, um durch ein sicheres Zinsaufkommen Jahr für Jahr ausreichend hohe Projektförderungen zu ermöglichen. Eine Aufstockung könnte die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen absichern. Dies könnte die finanzielle Grundlage für die Schaffung eines neuen Bürgerfonds für niedrigschwellige Anträge sein.

Auch das Deutsche Polen-Institut als Kern der inhaltlichen Beschäftigung mit Polen in Deutschland ist in seiner Substanz zu stärken. Die Einrichtung eines Polnischen Deutschland-Instituts, das sich auf ähnliche Weise um Wissensvermittlung und Empathie für den Nachbarn einsetzen würde, wäre begrüßenswert. Gleichzeitig sind auch Begegnungsstätten wie etwa die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung zentrale Orte des deutsch-polnischen Austauschs. Diese Orte müssen in ihrer Substanz gestärkt werden, damit sie ihrem Auftrag weiterhin nachkommen können.

Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt gekommen, um den deutsch-polnischen Beziehungen einen neuen Schub zu geben und ihre Institutionen und Akteure auf Dauer zu stärken? Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt gekommen, um aktiv daran zu arbeiten, die Wahrnehmung des Nachbarn zu verändern? Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt gekommen, um die materiellen und immateriellen Strukturen der Beziehungen resilient zu machen gegen die Gefahren negativer Instrumentalisierung in polarisierten Gesellschaften? Wir rufen deshalb die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger beider Länder dazu auf, diese Gelegenheit auch dazu zu nutzen, den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag zu bilanzieren. Er könnte am Ende dieses Prozesses als „Deutsch-Polnischen Vertrag für gemeinsame Verantwortung in Europa“ neu gestaltet werden.

INFO-KASTEN Deutsch-polnische Beziehungen

Beide Länder im Herzen Europas sind auf engste verbunden. Das beginnt bei den Menschen und hört bei der Wirtschaft noch lange nicht auf. Seit 1970 sind weit mehr als zwei Millionen Bürger Polens nach Deutschland geflohen oder übergesiedelt. Im Jahr 2022 lebten rund 2,2 Millionen Menschen mit einem polnischen Migrationshintergrund in Deutschland, was sie zur zweitgrößten Einwanderer-Community macht; von ihnen haben gut 1,2 Millionen (nur oder auch) einen polnischen Pass. Einwanderung aus Polen nach Deutschland ging vielfach zu Lasten der deutschen Minderheit im Nachbarland. Auch deswegen ist die Zahl der Bürger Polens, die sich in der Volkszählung 2021 zur deutschen Volkszugehörigkeit bekannten, auf 144.000 gesunken. Über viele Jahre waren die meisten in Deutschland geschlossenen binationalen Ehen deutsch-polnische.

Der gemeinsame Handel ist vor allem seit Polens EU-Beitritt 2004 stark gewachsen, auf etwa 166 Milliarden Euro (2022). Polen ist damit nach China Deutschlands Handelspartner Nummer 5 und hat inzwischen Österreich, Italien und Großbritannien überholt. Doch die Asymmetrie bleibt: Deutschland ist seit langem Polens Partner Nummer 1 mit einem Anteil von etwa 24 Prozent am Außenhandel.

Beide Länder haben eine gemeinsame, seit dem 18. Jahrhundert oft schmerzhaft erfahrene Geschichte. Ob sie mehr verbinden oder trennen soll, hängt heute von uns allen ab.

 

Die Kopernikus-Gruppe ist ein Projekt des Deutschen Polen-Instituts und der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung. Die Sitzung der Gruppe in Berlin wurde von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit gefördert

 

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