Anti-Rassismus in der internationalen Jugendarbeit
Ich erkenne mein weißes Privileg: I Understand That I Will Never Understand. But I Stand.*

Charlotte, Pädagogische Mitarbeiterin in der IJBS Kreisau

I understand that I will never understand. But I stand. Dass ich nicht immer und immer wieder mit Frage konfrontiert werde “Woher kommst Du”? Dass ich niemals die einzige Person in einem Zug oder Bus sein werde, die ihren Ausweis zeigen muss. Dass ich niemals durch den strukturellen Rassismus und den Alltagsrassismus zurückgehalten und verletzt werde. Dass mir niemals Dienstleistungen, Arbeit oder Wohnungen wegen meiner Hautfarbe verweigert werden. Dass ich wegen meiner Hautfarbe nie Kämpfe und Hindernisse im Leben ertragen muss. I understand that I will never understand, but I stand.

Als sich die Bilder des brutalen Polizeieinsatzes gegen George Floyd in der ganzen Welt verbreiteten und die Menschen begannen auf den Straßen zu demonstrieren, stand auch die IJBS Kreisau vor der Frage, ob und wie wir dazu Stellung nehmen wollen, denn Antirassismus ist für uns eine selbstverständliche Grundlage unserer pädagogischen Arbeit: Es gibt keine Neutralität gegenüber rassistischen und rechtsextremen Positionen, und ganz klar darf der Rahmen der Menschenrechtskonvention nicht überschritten werden.

Ich könnte hier nun verschiedene Workshop-Methoden beschreiben, die wir in unserer Jugendarbeit in Kreisau anwenden, um (junge) Menschen für Rassismus zu sensibilisieren und aufzuklären, damit die weitreichenden Folgen von Rassismus greifbar werden. Das werde ich aber nicht tun, denn ich muss woanders anfangen. Ich muss bei mir anfangen.

Dieser Text  ist ein Versuch, aus meiner Perspektive als weiße Frau meine Erfahrungen in der Antirassismusarbeit und meine Prinzipien zu erklären. Ich lade euch ein, diese zu lesen, denn die Debatte und die Workshops über Antirassismus können nur durchgeführt werden, wenn jeder und jede bereit dafür ist, bei sich selbst zu beginnen - mich eingeschlossen. Wenn ich mich mit Rassismus beschäftigen will, muss ich mich klar mit meiner eigenen Sozialisation und dem Kontext, in dem ich aufgewachsen bin, auseinandersetzen. Denn es ist ein Prozess des Verlernens, und ich kann nicht leugnen, dass ich eine Person, eine Frau, eine Pädagogin bin, die sich in Strukturen bewegt, die nicht leicht zu durchbrechen sind. Ich hatte und habe mit Rassismus zu tun, auch wenn ich selbst nicht davon betroffen bin. Der erste Schritt besteht darin, mir bewusst zu machen, welche rassistischen Gedanken ich habe, welche meiner Handlungen in der Vergangenheit rassistisch waren und mit welchen diskriminierenden Konzepten ich aufgewachsen bin, um zu erkennen, wie groß und breit Rassismus ist und existiert. Auch ich bin in rassistischen Strukturen sozialisiert worden, auch ich habe von einem System profitiert, das Menschen rassistisch ausschließt. Auch ich fragte als Kind nach einem "hautfarbenen" Stift, auch ich spielte mit Puppen und las Bücher über meine Lieblingsfiguren, die mir ähnlich sahen. Auch ich habe mich in der Schule nicht mit der europäischen kolonialen Vergangenheit und der kolonialen Geschichte Deutschlands, dem Land, in dem ich aufgewachsen bin, beschäftigt.

Auch ich wollte glauben, dass auf diesem Planeten alle gleich sind und niemand aufgrund seiner Hautfarbe anders behandelt wird, und auch ich habe, wenn auf Rassismus angesprochen, defensiv reagiert.

Ich möchte euch von einem Beispiel aus meiner eigenen Biographie erzählen: Im Jahr 2010, als ich 16 Jahre alt war, verbrachte ich einige Zeit als Austauschschülerin in Südafrika. Das war eine großartige und prägende Zeit. Das Schlimme daran ist nicht, dass ich diesen Austausch gemacht habe, sondern dass ich erst viel später gelernt habe, diese Erfahrung aus einer globalen und postkolonialen und antirassistischen Perspektive zu reflektieren. Denn es gab vor dem Austausch keinen begleiteten, pädagogischen Zugang. Ich habe nicht die Möglichkeit bekommen, über das Privileg des Weiß-seins zu lernen und zu reflektieren oder zu kritisieren, warum es die Sprache Afrikaans gibt, und ich bekam nie die Möglichkeit, die historische Dimension dieser Sprache zu verstehen. Es war halt so. Genau diese Perspektiven hätten mir damals als Teenager geholfen, andere Perspektiven kennenzulernen und keine Stereotypen zu reproduzieren. Dies passierte erst viel später, während meines Studiums, fast 6 Jahre nach meinem Austausch, als ich die bis heute spürbaren Auswirkungen, des Postkolonialismus und die der Apartheid kennenlernte. 

I learned to understand that I will never understand, but I stand, forever!

Die Existenz von Alltagsrassismus und rassistischen Strukturen, in denen ich mich bewege, ist ein Zustand, der nicht geleugnet werden kann, auch wenn die Konfrontation mit diesen Strukturen und der eigenen Sozialisation schmerzhaft war und ist. Sie tut weh. Es ist unangenehm, aber ich habe eine Verantwortung als Person aus dem Bildungssektor, als weiße Bürgerin. Auch ich musste beginnen, den Rassismus in seinem historischen Kontext zu begreifen, und auch ich muss lernen, zu verlernen. Ich musste nach und nach verstehen lernen, dass die Haltung, den Begriff Privileg nicht verstehen zu wollen, eine Haltung ist, die nur aus einer privilegierten Stellung bestehen kann. Das heisst nicht, dass ich mich schämen muss, weiß zu sein. Es bedeutet vielmehr, dass ich mein Privileg identifizieren muss, um es zu verstehen und es zu nutzen, um einen Schritt vorwärts zu machen. Ich muss mein Privileg nutzen, um für Veränderungen einzutreten und das Bewusstsein für die Ungerechtigkeiten zu schärfen, unter denen Menschen verletzt werden. Und ich als weiße Frau kann mein Privileg nutzen, um mich dem Prozess des Verlernens bereitwillig zu öffnen. Ich kann beginnen mein Handeln und mein Denken rassismuskritisch zu beleuchten. Ich kann mein Privileg nutzen, um genau dieses Denken als Basiselement in meine Bildungsarbeit aufzunehmen. 

Wenn ich unsere Jugendbegegnungen mit Elementen des globalen Lernens und der Antirassismusarbeit bereichere, müssen wir das Kind beim Namen nennen. Um eine Debatte zu eröffnen, schaffen wir Ansätze zur Auseinandersetzung mit der eigenen Sozialisation, um den verborgenen Rassismus im Alltag zu erkennen. Darüber hinaus sind viele Handlungen, die auf rassistische Weise ausgrenzen, oft ohne böse Absicht, aber ganz klar rassistisch. Nicht selten stoßen wir auf Aussagen, die besagen: "Es gibt keinen Rassismus in meiner Aussage, und das durfte man doch früher auch sagen". Hier ist es wichtig, die Perspektive zu unterstreichen und zu fokussieren, dass es sich nach wie vor um eine Aussage handelt, die für die Betroffenen diskriminierend und rassistisch ist. Fällt euch vielleicht eine Aussage ein, die nicht rassistisch gemeint, aber dennoch rassistisch ist?

Wenn wir über Rassismus sprechen, ist es wichtig, beim Thema zu bleiben und damit Whataboutism zu verhindern. Whataboutism ist die Technik, auf eine Anschuldigung oder eine schwierige Frage mit einer Gegenfrage zu antworten oder ein anderes Thema aufzugreifen. Zum Beispiel die Aussage "Aber ich wurde auch diskriminiert...". Denn auch wenn du im Leben mit Schwierigkeiten zu kämpfen hattest und hast, musst du dich fragen: Liegt es an meiner Hautfarbe?

Wie kann ich also meine privilegierte Situation nutzen? Ich muss dafür sorgen, dass die Bildungsmaterialien, die ich verwende, genügend das Thema Kolonialismus thematisieren. Auch dürfen die von mir verwendeten Bildungsmaterialien keinen Rassismus und keine Stereotypen reproduzieren. Und ich muss auf meine Sprache achten, denn Sprache schafft Realität und ist der Hauptmotor, um Rassismus zu reproduzieren.

Und ich muss auch bereit sein, auf Abwehrreaktionen zu reagieren, die ich von mir selbst kenne, denn auch ich habe in der Vergangenheit zunächst einmal defensiv reagiert, wenn es um das Thema ging. Es ist ein Prozess, der die eigene Bewusstseinswerdung und meine eigene Reflexion erfordert. Es ist ein schmerzhafter Prozess.

Ich habe  dieses Zitat im Hinterkopf: “Weisse Menschen stecken oft viel mehr Energie in die Abwehr, die bei ihnen aufkommt, wenn Rassismus thematisiert wird als sich tatsächlich auf eine echte Auseinandersetzung mit Rassismus einzulassen. Das führt einerseits zu großen zusätzlichen Verletzungen bei Schwarzen Menschen und People of Color. Andererseits kommt der Diskurs zum Stillstand und wir bewegen uns keinen Millimeter weiter. Rassismuskritik und die eigene Sozialisierung zu entlernen ist Arbeit. Tägliche bewusste Arbeit. Ein repost, ein hashtag sind super aber der Großteil der Arbeit liegt im Alltag. An sich selbst, bei echten Begegnungen und gemeinsam an einer besseren Gesellschaft. Für alle". Ein Zitat von Tupoka Ogette, eine deutsche Antirassismus- und Diversity-Trainerin sowie Autorin. Mit diesem Zitat liefert sie die Grundlage für das Verständnis dessen, was sich derzeit im gesellschaftlichen Diskurs durchsetzt.

Ich musste lernen, dass ich meine Perspektive auf das Weiß-sein in Europa und auf diesem Planeten ändern musste. Wie ich eingangs erwähnte, handelt es sich um einen Prozess des Verlernens, für den wir uns öffnen können und müssen, und das ist wichtig, denn ich werde nie frei von Vorurteilen sein, und ich muss immer wieder von neuem diese Stereotypen und mein Handeln reflektieren. Und ich muss verlernen.

I understand that I will never understand, but I stand.

*Ich werde nie diese Erfahrungen machen, aber ich glaube anderen dass sie diese Erfahrungen machen und unterstütze sie und stehe an ihrer Seite.

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