„In der Demokratie geht es darum, dass jeder Einzelne und jede Gruppe das gleiche Recht auf Freiheit haben“. Ein Interview mit Dr. Uki Maroshek-Klarman, Leiterin des Adam-Institute for Democracy and Peace in Jerusalem und Autorin der Betzavta-Methode des Adam-Instituts.

Anna Kudarewska: Erzählen Sie bitte über die Betzavta-Methode des Adam-Instituts und wie man sie anwendet.

Uki Maroshek-Klarman: Die Betzavta-Methode des Adam-Instituts fördert die Demokratie- und Friedenserziehung. Es ist eine relevante und hilfreiche Methode, anwendbar sowohl im Kindergarten als auch in den Oberstufen; in der schulischen und außerschulischen Bildung; sie eignet sich auch für zivilgesellschaftliche Gruppen, gemeinnützige Organisationen, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen, engagierte Gemeinschaftsmitglieder, die Andere zur Selbsthilfe und Verbesserung der Lebensqualität anregen usw. Die Methode eignet sich sowohl für die Arbeit mit Kindern als auch mit älteren Menschen. Sie wurde von der Philosophie, Soziologie und Erziehung geprägt. Ihre Idee ist, jeder Person Beteiligung an Diskussionen über demokratische Werte zu ermöglichen. Damit sind viele Fragen verbunden. Wie können wir Menschen helfen, Demokratie zu verstehen und Motivation zu haben, um sie in einer für alle zugänglichen Form zu fördern? Was sollen wir lehren, wenn wir wollen, dass Menschen sich demokratischer verhalten? Wenn wir alle mit einbeziehen wollen, müssen wir eine Methode entwickeln, die das möglich macht. Ohne das ausgebildete Menschen ihre Lehr- und Lernstandards senken müssen, aber gleichzeitig ihr Wissen und Ideen an andere weitergeben können, die weniger Möglichkeiten haben, es zu verstehen oder ihre Meinungen zu äußern. In der Betzavta-Methode wird jede Person dort abgeholt, wo sie gerade ist. Die Elemente der Betzavta-Methode sind Übungen und Spiele. In den Übungen reflektiert man sein eigenes Verhalten, nutzt Reflexion, um Sachverhalte zu verstehen, lernt demokratische Regeln und wie man sie im Privatleben, in der Gesellschaft und der Politik anwendet. Jede Person kann auf der gleichen Ebene mit anderen sprechen. Teilnehmener*innen werden in Gruppen nach Alter, Interessen und Motivation eingeteilt. Dadurch können wir wirklich über uns selbst und andere in der Gruppe etwas lernen. Von Anfang an geht es um Erziehung zur Demokratie und Frieden.

Die Betzavta-Methode habe ich entwickelt, als ich Dozentin für politische Philosophie an der Universität war. Es ist mir aufgefallen, dass Philosophen eine komplizierte Sprache benutzen, um einfache Phänomene zu erklären. Dadurch war es für Student*innen schwierig, ihre Meinung zu äußern und zu lernen. Es ist sehr wichtig, komplizierte Sachen mit einfacher Sprache zu erklären; in der Betzavta-Methode geht es auch um diese Kompliziertheit. Wenn man sich mit etwas gut auskennt, dann kann man es gut erklären. Es ist eine der Voraussetzungen der Methode.

In dem ersten Buch über die Betzavta-Methode, das ins Polnische übersetzt wurde, geben Sie eine ungewöhnliche Definition von Demokratie. Meistens versteht man unter Demokratie einen Prozess, in dem Vertreter*innen der Gesellschaft gewählt werden, die später Entscheidungen in dem jeweiligen Land treffen. Bitte sagen Sie, wie Demokratie in der Betzavta-Methode definiert wird.

Es gibt eine Verwirrung in Bezug auf Mittel und Ziele, wenn es um Demokratie geht. Die meisten mir bekannten Bildungsprogramme halten Mittel für Ziele. Diese Verwirrung führt dazu, dass es Menschen schwer fällt, das Wichtige von dem weniger Wichtigen zu unterscheiden. Oder was man ändern kann und womit man vorsichtig sein sollte. Das Wichtigste sind nicht die demokratischen Institutionen, sondern die demokratischen Werte und das, wie wir in der Gesellschaft miteinander leben wollen. Wenn wir die Werte verstehen, dann können wir darüber nachdenken, wie man sie am besten fördert. Demokratische Institutionen sind nur ein Teil der Lösung. Meiner Meinung nach geht es in der Demokratie darum, dass jeder Einzelne und jede Gruppe das gleiche Recht auf Freiheit haben. Mit Gruppen meine ich kulturelle, nationale oder internationale Gruppen. Aber es geht auch um Gleichheit zwischen einzelnen Personen, Untergruppen und großen Gruppen. Wenn wir verstanden haben, dass es um Gleichheit und Freiheit geht, taucht eine nächste Frage auf: Was sind die besten Institutionen oder Prozesse, die Menschen ermöglichen, sich gegenseitig gleich zu behandeln und frei zu leben? Es ist sehr wichtig, das in der Demokratieerziehung zu wissen, aber auch als Politiker oder Bürgerin, denn so können wir verstehen, dass Gleichheit und Freiheit manchmal in der direkten Demokratie erreicht werden, während in anderen Fällen in der indirekten Demokratie. Das heißt aber nicht, dass direkte Demokratie schlecht oder gut ist. Das heißt, dass Institutionen nicht die Hauptsache sind; sie sind das Mittel, um das zu verwirklichen, was die Hauptsache ist. In der Betzavta-Methode geht es darum, das Verständnis dieser Werte zu fördern. Es ist sehr wichtig, unterschiedliche Bedeutungen zu erkennen und in der jeweiligen Situation entsprechend zu handeln, um Gleichheit und Freiheit zu erreichen. Einerseits ist es sehr formbar, veränderbar, andererseits ist es sehr geschlossen, denn das Ziel ist sehr konkret und verständlich.

2020 haben die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung und das Adam-Institute ein Seminar für Fachkräfte der schulischen und außerschulischen Bildung aus Deutschland und Polen veranstaltet. Was glauben Sie, welche Fragen sollen polnische und deutsche Fachkräfte diskutieren? Welche Themen haben Sie für das Seminar vorgeschlagen?

Wir beschäftigen uns mit der Gleichheit zwischen Einzelpersonen und Gruppen. Was können sie voneinander lernen? Wenn man Gruppen zusammenbringt, ist es wichtig zu berücksichtigen, wie Demokratie in den jeweiligen Ländern gelebt wird, und zu schauen, was man voneinander lernen kann. In diesem Lernprozess sind schlechte wie gute Erfahrungen sehr wichtig. Wenn man Gruppen zusammenbringt, muss man eine Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen bieten. Das ist gut für den Prozess. Dann wollen wir, dass sie lernen, wie vorherige Kontakte, Verständnisse und Missverständnisse Ungleichheit zwischen ihnen schaffen bzw. fortbestehen lassen. Ein Beispiel: Stereotype und Umgang mit ihnen spielen eine Rolle in einer deutsch-polnischen Begegnung. Stereotype beziehen sich nicht auf Einzelpersonen, sondern auf Gruppen. In der Betzavta-Methode werden Stereotype anders als in anderen Bildungsprogrammen behandelt. Sicherlich gibt es einige bekannte Methoden für den Umgang mit Stereotypen. Wir finden aber, dass einige davon Gleichheit nicht fördern, sondern verhindern. Im Adam-Institute regen wir Teilnehmende dazu an, Kritik über Stereotype und unseren Abbau von Stereotypen zu üben. Das ist äußerst wichtig. Es geht darum, sich mit Gruppenstereotypen und individuellen Stereotypen zu befassen, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren: Förderung der Gleichheit und Freiheit.

Wenn man mit Gruppen aus unterschiedlichen Ländern arbeitet – vor allem solchen, die miteinander im Konflikt waren – muss man beachten, wie sie über die Vergangenheit und die jeweiligen Länder in gemeinsamen Diskussionen sprechen. Die Art und Weise, wie wir mit der Vergangenheit umgehen, kann die Förderung der Demokratie unterstützen oder das Gegenteil bewirken. In solchen binationalen Seminaren erkunden wir die einzelnen Narrative der jeweiligen Gruppen und die Narrative, die sie über die gemeinsame Geschichte haben. Es ist entscheidend, den Narrativkonflikt zu verstehen, denn es kommt vor, dass Geschichten erzählt werden, die den wirklichen Ereignissen nicht entsprechen. Vielmehr dienen sie dazu, aktuelle Handlungen zu rechtfertigen, wenn die Gruppen im Konflikt sind. Wir wollen unseren Teilnehmenden vermitteln, dass sie Narrative nicht nur als Mittel nutzen können, um den Konflikt zu „gewinnen“, sondern auch dazu, die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sehen. Ein Beispiel aus unserer Region: Wenn wir über gemeinsame Narrative zwischen Palästinensern und Israelis sprechen, dann sehen wir meistens Kriege in der Vergangenheit. Wenn man sich selbst und an die nächsten Generationen nur diese Information weitergibt, dann denkt man von dem Anderen eher als von einem Feind als von einem potenziellen Lebenspartner. Was, wenn man ihnen beibringt, sich mit Narrativen anders zu befassen, beispielweise mit dem, was zwischen den Kriegen geschehen ist? Man hängt sich daran auf, von einem potenziellen Miteinander als utopisch zu sprechen. In der Vergangenheit haben Muslime und Juden in vielen Ländern gut miteinander gelebt. Aber über diese Zeiträume in der Geschichte wird nicht gesprochen; jede Partei nutzt das historische Narrativ, um gegen die andere zu gewinnen. Gruppen mit einer gemeinsamen Konfliktgeschichte müssen erfahren, wie Narrative geändert werden können, nicht um zu vergessen, was passiert ist, sondern um zu verstehen, welche bestimmte Themen Verständigung und Zusammenarbeit verhindern. Im zweiten Teil des Seminars befassen wir uns mit der Vergangenheit und Narrativen. In der dritten steht die Gegenwart im Mittelpunkt. Wenn sich Menschen aus Nachbarländern wie Deutschland und Polen begegnen, kommen Demokratiefragen auf, deren Antworten voneinander abhängig sind und sich gegenseitig beeinflussen.

Wie bewerten Sie das gemeinsam organisierte Seminar? Wie war es für Sie, eine bestimmte deutsch-polnische Gruppe zu leiten? Viele der Teilnehmenden haben sich auf die eine oder andere Art und Weise für den deutsch-polnischen Dialog eingesetzt, da die die Stiftung Kreisau Menschen anzieht, die sich für deutsch-polnische Verhältnisse interessieren. Was sind Ihre Reflexionen?

Dieses deutsch-polnische Seminar war für mich eine sehr interessante Erfahrung. Erstens, es war klar, dass jede Gruppe starke Stereotype über die andere hatte und wir mussten uns damit auseinandersetzen. Wir haben auch herausgefunden, dass die beiden Gruppen ein tiefes Gefühl der Ungleichheit empfunden haben. Es war wichtig, das zu berücksichtigen, zu diskutieren und zu schauen, wie und ob wir damit umgehen wollen. Sehr bedeutend war es auch, nicht zu vergessen, dass es viel mehr um Gruppenstereotype ging als um Stereotype einzelner Personen. Und das es dieses Gefühl der Ungleichheit gab. Es ist wichtig, das zu wissen und es anzusprechen. Zweitens, ich habe erfahren, dass es für die beiden Gruppen schwierig war, die Vergangenheit aufzuarbeiten – sowohl die der jeweiligen Gruppe als auch die gemeinsame. Ich halte es für wertvoll, sich mit den gemeinsamen Narrativen auseinanderzusetzen und nicht nur mit den einzelnen, weil es eine große Auswirkung auf die Beziehungen zwischen den Ländern hat. Man sollte sich auch damit befassen, wie die beiden Regime sie für politische Zwecke nutzten statt zu verstehen, was wirklich geschah. Im Wesentlichen geht es darum, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um Beziehungen zwischen den Ländern zu verbessern. Es ich auch wichtig, historische Ereignisse nicht zu leugnen, sondern als Demokratie sie zu erinnern, um daraus zu lernen. Ich habe gesehen, wie es den beiden Gruppen schwergefallen ist, das zu lernen und verinnerlichen – was unterstreicht, dass wir uns noch mehr Mühe geben müssen. Außerdem fand ich die Auseinandersetzung mit der Migration zwischen den beiden Ländern spannend. Wie gesagt, solche Entscheidungen betreffen die beiden Gruppen. Die Teilnehmenden waren relativ jung. Die Geschehnisse an den Grenzen ihrer Länder werden ihre Lebensqualität beeinflussen. Es wurde diskutiert: Wie werden die Freizügigkeit, die Folgen dieser Offenheit und Nähe sie beeinflussen? Wie frei sie sein werden, um Geld zu verdienen, wenn sie umziehen wollen oder auch nicht? Ich fand die Diskussion über die Migration sehr fruchtbar und wichtig.

Wie sieht es aus mit Schulen: Wie wird die Betzavta-Methode mit Kindern und Jugendlichen in Schulen angewendet?

Es gibt zwei unterschiedliche Punkte. Der erste ist, welche Fragen Lehrer*innen im Unterricht behandeln und wie sie sich auf demokratische Regeln beziehen und wie demokratische Regeln Lehrer*innen in ihrem Beruf helfen können. Das Adam-Institute for Democracy and Peace veranstaltet Seminare für Lehrer*innen zum Thema Demokratie in der Bildung, demokratische Pädagogik und demokratische Bildung. Zum Beispiel ist die Meinungsfreiheit in der Unterricht ist ein sehr wichtiges Thema. Wir wollen, dass sich alle Schüler*innen beteiligen, aber wir wollen auch, dass sie niemanden aufhetzen und beleidigen; wir wollen Toleranz fördern, damit sie auch Meinungen zuhören können, die sie für unrechtmäßig halten. Wir wollen, dass sie das als menschliche Wesen können, außerdem hilft das in dem gesamten Lernprozess.

Zurzeit gibt es in Schulen nur wenige Methoden der Erziehung zur Demokratie; sie sind veraltet und nicht besonders kreativ. Dabei gibt es sehr viele Möglichkeiten der Erziehung zur Demokratie, nicht nur in der Schule. Der Prozess soll da verwurzelt sein, was wir am Anfang gesagt haben, also in den Kenntnissen über die Sprache der Demokratie: Was sind Gleichheit und Freiheit? Was sind Menschenrechte, Schülerrechte, Kinderrechte? Lehrer*innen können Demokratie verstehen und sie in der Schule vermitteln. Natürlich muss man das Alter, das Lernniveau usw. beachten. Schüler*innen müssen verstehen, was außerhalb der Schule passiert; und nicht nur fernzusehen ohne das Gesagte zu begreifen. Man braucht mindestens Grundkenntnisse, um das, was man sieht, kritisch beurteilen zu können; um zu sagen: „Ja, ich stimme zu“ oder „Nein, ich stimme nicht zu“; um sich eine Meinung zu bilden, die nicht aufgrund des Aussehens oder Gefälligkeit der Politiker*innen fußt. Sie müssen lernen, aus der demokratischen Perspektive kritisch zu denken. Schüler*innen, deren diese Fähigkeit fehlt, nehmen Standpunkte ohne Wissen ein. Fehlendes Wissen über Politik verbessert die Lebensqualität der Bürger*innen nicht. Das ist auch ein Teil unserer Aktivitäten. Alles in Allem geht es um Pädagogik. Es geht um demokratische Institutionen, die es an Schulen gibt, neue und unterschiedliche Methoden der Erziehung zur Demokratie zu entwickeln. Es geht darum zu verstehen, wie Lehrer*innen aktuelle Geschehnisse aus der Außenwelt in der Schule thematisieren. Sollen sie sie thematisieren? Wie können sie das erfolgreich tun? Lehrer*innen können Themen ansprechen, die mit den von ihnen gelehrten Fächern zusammenhängen. Zum Beispiel ein Geschichtslehrer könnte Narrative ansprechen und Auseinandersetzung mit der Geschichte anregen. Gleichzeitig muss man überlegen, wie man Fachbücher einsetzt. Soll man sie überhaupt einsetzen? Wir spornen Lehrkräfte dazu an, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen und sie erreichen wunderbare Ergebnisse. Bereits in der ersten Klasse erarbeiten Kinder ihre Institutionen sehr kreativ. Das ist wunderschön. In einer israelischer Stadt wurden fünf neue Modelle von Demokratie entwickelt. Schüler*innen haben gleichzeitig sehr gut gelernt, ihre Bedürfnisse in der Schule mitzuteilen. Sie beteiligen sich bei der Suche nach Lösungen für ihre Probleme. Die Ergebnisse sind wunderbar, unglaublich und originell; Schüler*innen begreifen Phänomene, die ihre Lehrer*innen ihnen nicht zumuten. Das Adam-Institute hat ein Betzavta-Handbuch mit 70 Übungen für Kinder von sechs bis zwölf Jahre herausgegeben. Kinder verstehen die Themen sehr gut, denn sie alle erfahren Machtverhältnisse in der Familie und mit Geschwistern. Und sie wissen, was in der Schule passiert. Das Handbuch wurde oft gelobt. Es wäre toll, wenn es ins Polnische übersetzt würde.

Das ist eben unser Ziel: die Betzavta-Methode in Polen bekannter zu machen! Vielen Dank für das Gespräch.

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